Gemeinsamer deutsch-italienischer Appell an die Regierungen aller Mitgliedsstaaten und an die EU-Institutionen
Finanzierung des Corona-Wiederaufbauprogramms durch Eindämmung von Steuerdumping und Geldwäsche

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Gemeinsamer italienisch-deutscher Appell an die Regierungen aller Mitgliedsstaaten und an die EU-Institutionen

Die Coronavirus-Pandemie und ihre Folgen für unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften stellen für uns alle eine in der Geschichte der Europäischen Union beispiellose Herausforderung dar. Wir sind froh, dass in unseren beiden Ländern die Ausbreitung des Virus nun besser unter Kontrolle ist. Eine Reihe von Beschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaftstätigkeit konnten bereits aufgehoben werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Ende dieser Krise in Sicht ist. Wir treten jetzt in eine neue Phase ein. Unternehmen jeder Größe sind von einer völligen Einstellung oder Verlangsamung ihrer Aktivitäten hart getroffen worden. Eines sollte klar sein, wenn wir über den Neustart unserer Volkswirtschaften in Europa diskutieren: Diese Krise trifft alle Länder gleichzeitig, und kein einziges Land befindet sich in dieser Krise aufgrund schlechter wirtschafts- oder finanzpolitischer Entscheidungen der Vergangenheit, sondern aufgrund einer schrecklichen Pandemie. Deshalb müssen wir die Last dieser Krise in Europa gemeinsam schultern. Deshalb wiederholen wir unsere Forderung nach der Ausgabe von Europäischen Gesundheitsanleihen mit einem klaren und definierten gemeinsamen Ziel und vorbehaltlich gemeinsam vereinbarter Leitlinien. Ohne Lastenteilung würden wir nicht nur die Stabilisierung des Gesundheitssystems und die wirtschaftliche Erholung einiger Länder riskieren, wir würden den gesamten Binnenmarkt und damit unser Projekt der Einigung Europas gefährden.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Erholung unserer Volkswirtschaften eine noch nie dagewesene Menge an öffentlichen Geldern erfordert. Gleichzeitig gehen die Steuereinnahmen unserer Staaten aufgrund der Wirtschaftskrise dramatisch zurück. Selbst wenn der daraus resultierende Anstieg der öffentlichen Neuverschuldung gerechtfertigt ist, wäre es unverantwortlich, die Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte zu vergessen. Steigende Steuern sind kein guter Hüter der wirtschaftlichen Erholung. Deshalb sollten wir uns in erster Linie darauf konzentrieren, Ressourcen zu generieren, indem wir Steuerdumping, Steuerbetrug und Geldwäsche eindämmen. In der Vergangenheit hat ein Mangel an europäischer Einheit die Fortschritte in Richtung einer gemeinsamen Steuerpolitik und eines entschlossenen Kampfes gegen Finanzkriminalität begrenzt.

Angesichts des Ausmaßes dieser Corona-Krise und der steigenden Staatsverschuldung fordern wir eine umfassende Nulltoleranz-Politik gegenüber Geldwäsche, Steuerbetrug und Steuerdumping in Europa. Eine solche Nulltoleranz-Politik sollte aus fünf Schlüsselaktionen bestehen:

  1. Europa braucht einen gemeinsamen effektiven Mindeststeuersatz auf Unternehmenseinkommen. Wenn die internationalen Bemühungen im Rahmen der OECD nicht wie vorgesehen bis Ende dieses Jahres zu einer Einigung kommen, muss die EU einen eigenen effektiven Mindeststeuersatz festlegen. Dieser Satz sollte auf der Grundlage einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) auf große Unternehmen angewandt werden. Diese sollten auch Gewinne und gezahlte Steuern auf Länderbasis öffentlich offenlegen, wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament unterstützt.
  1. Während der Corona-Krise haben digitale Geschäftsmodelle Marktanteile von traditionellen Unternehmen gewonnen. Diese Triebfeder in Richtung Digitalisierung kann durchaus nützliche Innovationen fördern. Gleichzeitig ist der Wettbewerb nicht fair, wenn große digitale Unternehmen in Europa kaum Körperschaftssteuern zahlen, während traditionelle Unternehmen dies tun. Deshalb sollte Europa einen gemeinsamen Ansatz für die digitale Besteuerung einführen, der sicherstellt, dass die in Europa erzielten Gewinne auch in Europa auf fairer Basis besteuert werden. Bis eine Unternehmenssteuerreform in Kraft tritt, sollte der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene und vom Europäischen Parlament unterstützte Vorschlag einer Digitalbesteuerung so schnell wie möglich in Kraft treten.
  1. Fehlende Ressourcen und mangelndes gegenseitiges Vertrauen zwischen den europäischen Steuerverwaltungen sind die Grundlage für einen groß angelegten grenzüberschreitenden Steuerbetrug bei der Mehrwertsteuer in Höhe von rund jährlich 50 Milliarden Euro sowie der Dividendenarbitrage. Es ist höchste Zeit, dass die derzeit blockierten Mehrwertsteuerreformen von den Mitgliedsstaaten verabschiedet werden und dass eine europäische Antwort auf die Dividendenarbitrage erarbeitet wird.
  1. Der Steuerwettbewerb in Europa ist im Begriff, sich von der Besteuerung von Kapitaleinkommen auf die Besteuerung der persönlichen Einkommen auszuweiten. Non-Dom-Regime, Pauschalsteuerzahlungen, Sonderbehandlungen bestimmter Einkommensarten in bilateralen Steuerabkommen, Freihäfen, goldene Visa und Staatsbürgerschaften haben das Potential, die umfassende und progressive Einkommensbesteuerung in den Mitgliedsstaaten zu schwächen. Europa muss eine Rahmenregelung entwickeln, um die progressive Einkommensbesteuerung vor Sonderregelungen zu schützen.
  1. Die Eindämmung des durch kriminelle Aktivitäten verdienten Geldes ist sowohl für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger als auch für ehrliche Unternehmen ein Gewinn. Die Bekämpfung der Geldwäsche wird auch zusätzliche öffentliche Einnahmen generieren. Nach Angaben der EU-Kommission belaufen sich die entgangenen öffentlichen Einnahmen auf sage und schreibe 160 Milliarden Euro pro Jahr. Nach Angaben von Europol wird nur 1% des kriminellen Geldes beschlagnahmt. Italien hat gezeigt, dass die Mitgliedsstaaten in diesem Bereich durch rechtspolitische Reformen erfolgreich sein können, die in ganz Europa kopiert werden sollten. Aber auf jeden Fall braucht Europa auch eine effektive Geldwäsche-Aufsichts- und Regulierungsbehörde. Für die groß angelegten Fälle von Finanzkriminalität sollte im Rahmen von Europol eine europäische Finanzpolizei geschaffen werden.

Da Steuerpolitik normalerweise einen einstimmigen Beschluss aller EU-Mitgliedsstaaten erfordert, sind Fortschritte in Richtung Steuergerechtigkeit notorisch langsam. Auch die gemeinsame Entscheidungsfindung in Fragen der Sicherheitszusammenarbeit ist schwierig. Aber es gibt Handlungsspielraum. Maßnahmen zur Unternehmenstransparenz und zur Bekämpfung der Geldwäsche werden mit Mehrheitsbeschluss getroffen. Darüber hinaus könnte die Europäische Kommission Artikel 116 AEUV als Rechtsgrundlage für mögliche zukünftige Steuergesetzgebungsvorschläge heranziehen, wenn der Wettbewerb im Binnenmarkt verzerrt wird und zuvor keine Einigung zwischen den Mitgliedstaaten erzielt wurde. Das Niveau des Steuerwettbewerbs in der Europäischen Union ist so hoch, dass die neue Europäische Kommission bereits angedeutet hat, diese Option, die dem Europäischen Parlament gleiche Entscheidungsbefugnisse garantieren würde, ernsthaft zu prüfen. Es ist höchste Zeit, diese Option zu nutzen. Zu guter letzt sollten die Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit in globalen und multilateralen Institutionen fördern, um internationale Entscheidungen für die Zusammenarbeit im Steuerbereich zu unterstützen.

Diese Krise erfordert entschlossene Entscheidungen für Fairness und Effizienz auf der Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte. Die Zeit zum Handeln ist jetzt gekommen.


Erstunterzeichner*innen

  • Gian Paolo Accardo, VOXeurop
  • Franco Bassanini, Minister a.D., Präsident Astrid Foundation
  • Prof. Ansgar Belke, Universität Duisburg-Essen
  • Prof. Tito Boeri, Bocconi Universität, INPS-Präsident a.D.
  • Prof. Peter Bofinger, Universität Würzburg
  • Angelo Bonelli, Europa Verde
  • Massimo Bordignon, Katholische Universität, Rom
  • Prof. Gerhard Bosch, Institut Arbeit und Qualifikation, Universität Duisburg-Essen
  • Franziska Brantner, MdB
  • Prof. Franco Bruni, Bocconi Universität, Vize-Präsident des Italienischen Instituts für internationale politische Studien
  • Rocco Cangelosi, Botschafter, Staatsrat
  • Innocenzo Cipolletta, Assonisme, Vorsitzender; Italienische Vereinigung für Private Equity, Venture Capital und Privatkredite (AIFI); Generaldirektor a.D. Confindustria
  • Prof. Carlo Cottarelli, Executive Director of the International Monetary Fund Board a.D.
  • Prof. Pier Virgilio Dastoli, Europäische Bewegung Italien, Präsident
  • Prof. Sebastian Dullien, Forschungsdirektor, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)
  • Prof. Trevor Evans, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin
  • Piero Fassino, Abgeordnetenkammer, Vizepräsident Auswärtiger Ausschuss, Minister a.D.
  • Prof. Maurizio Ferrera, Universtät Milan
  • Giampaolo Galli, Katholische Universität, Rom
  • Alexandra Geese, MdEP
  • Sven Giegold, MdEP
  • Prof. Enrico Giovannini, Direktor a.D., Istat (Nationales Statistikinstitut), Minister a.D.
  • Elena Grandi, Europa Verde
  • Prof. Gerd Grözinger, Europa-Universität Flensburg
  • Prof. Ulrike Guérot, European Democracy Lab
  • Prof. Arne Heise, Universität Hamburg
  • Prof. Costanza Hermanin, College of Europe, John Cabot University
  • Helena Janeczek, Autorin
  • Prof. Jakob Kapeller, University Duisburg-Essen
  • Jan Pieter Krahnen, Ökonom
  • Gad Lerner, Journalist
  • Jagoda Marinic, Autorin
  • Giampiero Massolo, Vorsitzender von Fincantieri und des Italienischen Instituts für Internationale Politische Studien (ISPI), Generalsekretär im Außenministerium a.D.
  • Francesca Melandri, Autorin
  • Cesare Merlini, Institut für internationale Angelegenheiten, Präsident des Kuratoriums
  • Marcello Messori, Institut für Europäische Politische Ökonomie (SEP), Direktor
  • Stefano Micossi, Assonime, Generaldirektor; LUISS School Europäischer Politischer Ökonomie, Vorsitzender des wissenschaftlichen Rates
  • Prof. Massimo Morelli, Bocconi Universität und CEPR
  • Prof. (em) Claus Offe, Hertie School of Governance
  • Pier Carlo Padoan, Senator, Finanzminister a.D.
  • Alberto Pera, Vereinigung Associazione Antitrust Italien, Vorsitzender; Bim Private Bank
  • Ruprecht Polenz, MdB a.D.
  • Prof. Jan Priewe, HTW Berlin
  • Prof. Miriam Rehm, Universität Duisburg-Essen
  • Prof. Lucrezia Reichlin, London Business School
  • Prof. Rene Repasi, Erasmus Universität Rotterdam
  • Prof. Thomas Rixen, Freie Universität, Berlin
  • Prof. Hartmut Rosa, Universität Jena
  • Ferdinando Salleo, Botschafter a.D.
  • Sabine Sasse, United Europe
  • Prof. Thomas Sauer, Ernst-Abbe-Hochschule Jena
  • Prof. Moritz Schularick, Bonn Graduate School of Economics
  • Stephan Schulmeister, Hochschuldozent
  • Prof. Gesine Schwan, Humboldt-Viadrina Governance Platform
  • Prof. Marco Simoni, Präsident, Humane Technopole
  • Prof. Jens Südekum, Institut für Wettbewerbsökonomie, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
  • Prof. Guido Tabellini, Bocconi Universität, Rektor a.D.
  • Prof. Valeria Termini, Universität Roma Tre
  • Prof. Claus Thomasberger, HTW Berlin
  • Prof. Hans-Michael Trautwein, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
  • Prof. Achim Truger, Universität Duisburg-Essen
  • Prof. Brigitte Unger, University Utrecht
  • Prof. Michael von Wuntsch, Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin
8. Juni 2020

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